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Kaffee bleibt undefinierbar

»Sie hingen auf ihren Stühlen. Über die Tische waren sie gehängt. Hingehängt von einer fürchterlichen Müdigkeit. Für diese Müdigkeit gibt es keinen Schlaf. Es war eine Weltmüdigkeit, die nichts mehr erwartet.« Vier Menschen warten in einem Wartesaal auf den Zug, drei Männer und eine Frau. »Sie hingen in einem Leben, hingehängt von einem Gott ohne Gesicht. Von einem Gott, der nicht gut und nicht böse war. Der nur war. Und nicht mehr. Und das war zu viel. Und das war zu wenig.«

Sie trinken Kaffee, der undefinierbar ist. Doch die Frau sagt, ihr mache das nichts. »Ich will da nur meine Tabletten mit nehmen.« Und nüchtern fügt sie hinzu: »Ich muß mir das Leben nehmen.« Die drei Männer sind erstarrt. Der mit den kurzen Fingern empört sich, wie man so etwas nur sagen könne. Wenn jeder sagen würde, was er denkt, das würde doch kein Mensch mehr aushalten. Und er rechnet vor, daß ihm für seine Bäckerei am morgigen Tag viertausendachthundert Brote fehlen, was viertausendauchthundert hungernde Familien bedeutet. Der andere mit dem fröhlichen Gesicht denkt nur, die ist verrückt. Ja, am liebsten würde er sie einfach erschlagen. Er kommt aus dem Krieg zurück. Er will nichts anderes, als mit seinen Eltern morgens auf dem Balkon sitzen und Kaffee trinken. Und dann redet diese Verrückte davon, sie wolle sich umbringen. Da meldet sich der Dritte zu Wort, der die ganze Zeit im Buch gelesen hat. Ihm sind die beiden anderen zu materialistisch. Ob der Bäcker denn nicht genauso mit Waffen wie mit Broten rechnen würde. Er steht auf und ist für sich heimlich der Sieger, will lächeln, aber dann reißt er den Mund auf zu einem Schrei: während ihrer Diskussionen ist die Frau verschwunden. Ihre Tasse ist leer, und nur noch das leere Glasröhrchen ihrer Tabletten ist zurückgeblieben.

»Er ließ das Glasröhrchen über den Tisch fallen. Es fiel runter. Und war kaputt. (Und Gott? Er höre das kleine Geräusch nicht. Ob ein Glasröhrchen zersprang – oder ein Herz: Gott hörte von all dem nichts. Er hatte ja keine Ohren. Das war es. Er hatte ja keine Ohren.)«

Danke, Wolfgang.

Kaffee bleibt undefinierbar
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Christopher Reinbothe

Dipl. Kommunikationsdesigner
@phneutral
DE, NRW, Wuppertal

THE END

Jedes Ende ist auch ein Anfang sagt man und es gibt nichts, das man ewig haben kann.