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Keine Angst, keine Angst, Rosmarie!

Darf ich Ihnen meine Begleiterin vorstellen? Höhen- und Flugangst, Arachno- und Klaustrophobie — sie hat so viele Namen! Ihr Anblick jagt mir Schauer über den Rücken. Vor allen Dingen weil sie so wandlungsfähig ist. Sie ist immer da, wenn ich sie am Wenigsten erwarte. Ganz plötzlich habe ich Angst vor der Zukunft und Angst sie nicht zu erleben. Krieg, Not und Hunger. Ich habe Angst davor keinen Job zu bekommen, zu haben oder zu verlieren. Ich fürchte mich davor kein Geld zu haben, auf der Straße zu landen, meinen Stand und Status zu verlieren. Mit jeder Stufe, die ich erklimme, steigt auch sie und mit ihr die Furcht davor etwas falsch zu machen, zu stürzen, sich zu überschlagen und zu fallen. Deshalb plagen mich diese Alpträume in denen ich verschlafe, versage oder versauere. Eigentlich wollte ich die Welt sehen und sie verändern! Aber wie, bei all dem Ausland und dem ganzen Neuen? Wie, wenn einen die schlechten Neuigkeiten und der Ausländer in den Wahnsinn treiben? Wenn er — also der Ausländer — mir den Job streitig macht, solche komischen Sitten hat, sich ständig verdächtig verhält und diese Sachen isst.

Sowieso: Essen! Fürchterlich: es gammelt das Fleisch, es gent das Gemüse. Maul und Klauen sind verseucht. Schwein und Vogel haben die Grippe, die Rinder werden wahnsinnig, die Meere leergefischt und wenn ich Tuna auf die Pizza will sterben die Delphine! Alles kontaminiert und pestizidiert. Sogar das Schwarze an der Bratwurst ist voller Krebs. Vor allen Dingen der Krebs! Er lauert überall: in der Brust, in der Lunge, im Hoden und sogar im Meer. Ich habe Angst davor ins Wasser zu gehen. Wer will schon von Haien gefressen oder von Riesenkraken in die Tiefe gezogen werden? Wer will sich in Schlingpflanzen verheddern, auf giftige Seeigel treten, von Wellen verschluckt oder von der Strömung abgetrieben werden?

Sowieso: Abtreiben! Ich hätte so gern eine Familie, aber eigentlich doch auch Karriere im Beruf. Ich hätte so gern Kinder, aber in »Eltern« steckt ja schon »versagen«. Entweder kommen meine lieben Kleinen später nicht zurecht oder tanzen mir auf der Nase herum. Ich fürchte mich vor diesem Terror! Habe Angst von dem Molukken in die Luft gesprengt oder erdrosselt oder ausgeraubt oder wenigstens zusammengeschlagen zu werden. Und wenn der es nicht macht, dann bestimmt der kommunistische Neonazihooligan, der mich für den Molukken hält.

Sowieso: Verwechseln! Ich fürchte mich davor die falsche Partnerin zu finden oder überhaupt keine abzubekommen. Ich habe Angst davor schlecht zu riechen und verschanze mich hinter dem olfaktorischen Schutzschirm aus Shampoo, Deo, Parfum, Creme, Zahnpasta, Kaugummi und Pfefferminz. Immer mehr, damit keiner meinen beißenden, kalten Angstschweiß bemerkt. Ich kann mich inzwischen gar nicht mehr selber riechen — wäre doch auch schlimm, wenn mir die Natur kommt.

Sowieso: Natur! Wie die kommt! Erdbeben und Tsunamis — ja, wenn das alles wäre! Typhoone, Hurrikane und Orkane. Mir ist kalt! Blitzeis, Dauerfrost, Hagelkörner groß wie Straußeneier! Mit jedem Unwetter steigt meine Besorgnis um das Klima. Es verändert sich. Nein, wir verändern es und erkennen es dann nicht wieder. Mir ist heiß! Die Polkappen schmelzen. Das Ozonloch wird größer. Wenn wir Pech haben stürzt ein riesiger Komet auf den Planeten und sorgt für eine neue Eiszeit, falls wir nicht vorher von Außerirdischen entführt und versklavt werden. So male ich mir jeden Tag eine neue Grausamkeit aus, die mich rund um die Uhr begleitet. Vampire und Agenten, Zombies und Apokalypse! Wahlweise und in Kombination. Vampiragenten und Zombieapokalypse — stellen Sie sich das mal vor! Wenn ich dann soweit bin, kommt es vor, dass ich Angst davor krieg, dass uns etwas geschieht, dass man den verliert, den man liebt, dass es das wirklich gibt. Mitten in der Nacht werd ich wach und bin Schweiß gebadet, dreh mich um und seh wie die Angst neben mir ganz friedlich atmet. Ich rüttle sie wach. Sie erschrickt, aber ich kann sie beruhigen, denn eins ist mir inzwischen klar:

»Ich liebe doch nur Dich, Rosmarie!«

Keine Angst, keine Angst, Rosmarie!
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Christopher Reinbothe

Dipl. Kommunikationsdesigner
@phneutral
DE, NRW, Wuppertal

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Jedes Ende ist auch ein Anfang sagt man und es gibt nichts, das man ewig haben kann.