Sehr geehrter Herr Döpfner,
in Ihrem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagen Sie: »Mir scheint es, als sei die Digitalisierung noch nicht von jedem verstanden.« Dem kann ich nur zustimmen. Doch lassen Sie mich ein wenig ausholen und erläutern warum auch Sie leider zu eben diesem Personenkreis der »Nichtversteher« gezählt werden müssen.
Schauen Sie: Ich bin jetzt beschauliche siebenundzwanzig Jahre jung. Ich bin mit dem Gameboy und Plastiktransformers aufgewachsen. Ich habe Matrix schon 1999 — über 56k-Modem! — aus dem Internet geladen und in Kleinstauflösung verschlungen. Ich habe mein Abo der PC-Games mit 16 gekündigt, weil ich alle Informationen über Spiele und Hardware schneller, besser und günstiger aus dem Netz ziehen konnte. Ich habe 348 RSS-Feeds, aber keine einzige Tageszeitung abonniert. Ich bin also in vielen Belangen ein Kind des Internets und ich bin von der Entwicklung jeden Tag aufs Neue total begeistert. Bis, ja, bis diese Nichtversteher auf den Plan treten und in Ihrem Unverständnis an Dingen rütteln, die Sie a) größtenteils sowieso nicht mehr aufhalten können und b) sich gegen die Leute stellen, die potentielle Kunden sein könnten. Beides wird aus einem Selbstverständnis heraus geboren, das das eigene Konzept als unfehlbar darstellt, niemals in Frage stellt und oftmals jeglichen Fortschritt verneint. Lassen Sie sich versichern: Der Fortschritt passiert zur Zeit so schnell, dass ich inzwischen einen Großteil meiner Science-Fiction- als Geschichtsbücher herausgeben könnte. Fortschritt verändert Gewohnheiten, Fortschritt verändert Industrien. Das war auch 2009 schon absehbar.
Bei all diesem Entwicklungen geht es dem Konsumenten oftmals nicht um die sogenannte Gratiskultur, wie man eindrucksvoll am Beispiel von Apples iTunes-Store begutachten kann. Die musikalischen Raubkopierer der Zeiten von Kazaa und Co. suchten vor allen Dingen nach einer gangbaren Lösung schnell, einfach und bequem ihre MP3-Player zu bespielen. Das ihnen dabei die monetäre Komponente entgegenkam ist natürlich nicht zu leugnen, doch sie spiegelt vor allen Dingen auch die Unverhältnismäßigkeit zwischen Kosten und Nutzen für den Konsumenten wieder. Warum sollte ich für eine komplette CD bezahlen, wenn ich den Datenträger nur einmal nutze, um die Daten zu digitalisieren? Wieso sollte ich ein ganzes Album kaufen, wenn mich nur maximal drei Tracks wirklich interessieren? (Hier kann man auch als Zeitung zwischen den Zeilen lesen …) Inzwischen rächt sich, dass die Musikindustrie das digitale Geschäft viele Jahre lang verteufelte. Den Verlagen wird es ähnlich gehen. Auch wenn Sie diese Schlacht gewinnen und die Tagesschau eines der besten Angebote auf dem iPad einstellen muss, wird es andere geben, die dort nachfolgen und vielleicht nicht durch einen in die Jahre gekommenen Rundfunkstaatsvertrag an fadenscheinige Paragraphen gebunden ist. Für mich persönlich, der keinen Fernseher besitzt, eher sporadisch Radio hört und seine Informationen fast ausschließlich aus dem Netz bezieht, ist diese App ein Lichtblick! Endlich habe ich das Gefühl meine Gebühren (Natürlich zahl ich!) nicht umsonst gelatzt zu haben.
Doch kommen wir zurück zu Ihrem Unverständnis, denn Sie scheinen etwas sehr fundamentales der digitalen Darstellung noch immer nicht realisiert zu haben: Das Medium ist egal. Es gibt nur noch »die Nachricht«, die von den Empfangsgeräten größtenteils unabhängig ist. Wenn die kostenlose Tagesschau-App verschwunden ist, dann öffne ich eben die kostenlosen Angebote der öffentlich-rechtlichen in meinem mobilen Browser. Das ist zwar umständlicher, aber auch in ihrer Logik gar nicht so abwegig. Vielleicht wird es wirklich Zeit den Qualitätsjournalismus mal wieder zu leben, anstatt ihn nur in Interviews wie eine heilige Monstranz vor sich her zu tragen.
In diesem Zusammenhang frage ich mich, wie die privaten Fernsehsender so lange überleben konnten, schließlich hatten sie schon immer mit den öffentlich-rechtlichen zu kämpfen. Bei Premiere/Sky funktioniert die Paywall auch nur auf Grund gewisser Exklusivität. Alle anderen sind ebenso frei empfangbar wie ARD und ZDF. Finanzieren sich die großen deutschen Zeitungen nicht auch hauptsächlich über Werbung? Davon ab bin ich im Übrigen gern bereit Inhalte, die mir weiter geholfen haben, mit einem »Trinkgeld« zu belohnen und tue dies — wo möglich — auch schon per flattr. Leider sind sich die großen Verlage anscheinend immer noch zu fein für solche »digitalen Almosen«, denn One-Click-Payments habe ich auch in ihren Angeboten noch unter keinem Artikel gefunden. Schade. Warum verpulvern Sie ihr kostbares Geld um alte Modelle per Gericht zu konservieren anstatt es in neue Ideen zu investieren? Oder mit anderen Worten:
Lieber Herr Döpfner schneiden Sie sich besser eine Scheibe von der Tagesschau-App ab anstatt sie zur Hölle zu jagen.
Dipl. Kommunikationsdesigner
@phneutral
DE, NRW, Wuppertal
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