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Zeitungen sterben und ich bin schuld.

Ein Artikel über Medien, Informationen und die Macht, die ihnen inne wohnt. Dieser Artikel liegt bereits seit Anfang Januar in den Entwürfen. Seit dem sind beinahe täglich neue Nachrichten rund um das Thema aufgetaucht. In der letzten Woche zum Beispiel die re:publica’09.

»Zeitungen sterben und ich bin schuld.«

Es kam mir auf jeden Fall so vor, als ich letztlich mit meinem alten Herrn diskutierte und das obwohl ich ihm nur versucht habe zu erklären woran dieses Medium krankt. Doch fangen wir wo anders an: Wer sich in den vergangenen Wochen mit halbwegs geöffneten Augen durch die Weiten des Internets bewegte, dem sind sicherlich vermehrt Artikel aufgefallen in denen von den Problemen einzelner Zeitungen und der ganzen Branche die Rede war. Vor allem in den USA geht es den Zeitungen nicht gut. Während die Huffington Post (ein Blog) investigativ anfängt, veröffentlicht die Seattle Post ihre letzte gedruckte Ausgabe, lebt aber dennoch online weiter. Den Redakteuren der Rocky Mountain News erging es ungleich schlechter, wie man eindrucksvoll in diesem Video bewiesen bekommt. »Sad. Just sad.« Heißt es dort im ersten Kommentar. Traurig, sicherlich. Aber in gewisser Weise auch nicht erst seit gestern offensichtlich.

Ich kaufe nicht = ich bin schuld.

Ich hatte zwischen 1997 und 2000 die PC Games abonniert. Stellte jedoch irgendwann fest, dass die Artikel zwar nett waren, aber sich im Internet Berichte fanden, die mit genauso viel Mühe recherchiert und geschrieben waren, ich die Information kostenlos bekommen konnte und vor allen Dingen viel aktueller berichtet wurde als im gedruckten Medium. Seitdem habe ich nie wieder ein Abo besessen, obwohl ich (wahrscheinlich auch aus beruflicher Obsession) ein leidenschaftlicher Printleser bin.

Das Internet und seine Nutzer, allen voran »die Blogger« sind schuld! Piraten, die weder für Musik noch für Information bezahlen mögen. Und dann fordert dieser unverschämte Tim Berners-Lee (seines Zeichens immerhin Erfinder des Internets!) auch noch: »Raw Data Now!«, also die Freigabe aller Daten im Internet. Diese furchtbare Mentalität, die das Internet zum Hort der freien Information erklärt, die geistiges Eigentum und Recherche bis ins kleinste Detail nicht zu schätzen weiß. Ist das so?

Natürlich spielt auch der Preis beim Konsumenten eine Rolle. Diverse Micropayment-Versuche haben bewiesen, dass man mit bezahlten Artikeln nicht voran kommt. Dennoch sieht man am Beispiel von iTunes und anderen legalen Musikplattformen, dass auch bezahlte Inhalte funktionieren können. Wichtig ist das richtige Geschäftsmodell. Genauso wie bei der Musik geht es nämlich nicht um das Trägermedium, sondern um die Inhalte und vor allen Dingen auch wie diese präsentiert werden. Warum sollte ich habgierigen Majorlabels Geld in den Rachen werfen, wenn nur ein Bruchteil davon bei dem Künstler ankommen, den ich eigentlich gut finde? Zwar ist es angenehmer (zumindest für mich) Gedrucktes zu lesen und in der Hand zu haben als Informationen aus dem Netz zu ziehen. Ebenso hört sich eine Schallplatte immer noch besser an als jeder mp3. Aber beide betagten Träger haben einiges gemein: Sie sind umständlich und langsam. Ihre Kapazität und Räumlichkeit ist begrenzt.

Sie funktionieren anders. Die Schallplatte ist ein Liebhabermedium und genau das ist es was eine gute Zeitung auch auszeichnen sollte. Dem Leser muss bewusst werden, dass alle die an diesem Produkt arbeiten mit Leib und Seele, Herz und Verstand bei der Sache sind. Dabei spielen Optik und Haptik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Jacek Utko spricht aus Erfahrung und fasst in knappen sechs Minuten zusammen worauf es ankommt: Ein komplettes Produkt.

Vor allen Dingen wenn die gestalterischen Trümpfe der gedruckten Erfahrung ausgespielt werden ist eine Printausgabe Gold wert. Ein guter Satz und gelungene Gestaltung sind zwar inzwischen auch im Netz möglich, dennoch ungleich schwerer zu realisieren. Individuelle Artikel im Web findet man zum Beispiel bei Coldheat aber der Aufwand ist ungleich höher und die Rezeption eine ganz andere. Schließlich ist eine Zeitung (in der Bahn gelesen oder auf dem Wohnzimmertisch drapiert) immer auch eine Aussage.

Kommen wir an dieser Stelle zurück zu der Diskussion zwischen meinem Vater (einem passionierten Lokalzeitungsleser) und mir (RSS- und Twitterjunkie). Die Klammern verdeutlichen das eigentliche Problem, das auch Christian Mücke in seinem Artikel »Your medium is dying« erkannt hat: Es ist eine Generationenfrage. Eine Frage der Internetaffinität und wie wir Informationen aufnehmen.

Ich konsumiere gratis = ich bin schuld.

Über Twitter habe ich schon geschrieben. Um dem geneigten Leser das Problem in seiner Gänze zu erläutern, will ich auch noch das Thema RSS kurz umreißen. Normalerweise gibt man die Adresse favorisierter Internetseiten in die Adresszeile ein, sucht die Seite per Suchmaschine oder klickt auf ein vorher angelegtes Lesezeichen. Jeder dieser Wege ist allerdings mit einer Aktivität des Nutzers verbunden und kann zum Einen dazu führen, dass man eine Seite längere Zeit gar nicht besucht und deshalb interessante Inhalte verpasst oder zum Anderen umsonst auf die jeweilige Seite surft, wenn noch keine neuen Artikel erschienen sind. Ärgerlich und (je nach Anzahl der Lieblingsseiten) auch zeitaufwändig. Wäre es nicht wunderbar, wenn einem seine Favoriten Bescheid geben würden, wenn sie neue Informationen bereitgestellt haben? RSS tut genau dies und wird deshalb auch im Deutschen gerne »interaktives Lesezeichen« genannt. Einmal abonniert erscheinen im Browser kleine Nummern hinter dem jeweiligen Lesezeichen entsprechend der Anzahl neuer Artikel oder ganze News werden direkt im RSS-Reader dargestellt. Wer neugierig geworden ist findet ausführlichere Anleitungen zum Beispiel hier. Auch pH~neutral.net bietet natürlich einen RSS-Feed, der im Übrigen sogar mehr Information (in Form meiner persönlichen Surfempfehlungen bei Delicious) bietet, als das eigentliche Blog.

Und genau an diesem Punkt fange ich an meinen Vater zu überfordern. Ich habe inzwischen rund 100 RSS-Feeds aus verschiedensten Bereichen (Design, Technik, Politik, Kultur, Tauchen) abonniert. Sie generieren zwischen 250 und 300 neue Nachrichten am Tag. Hinzu kommt Twitter: Ich verfolge derzeit die Kurznachrichten von 76 Schreibern. Auch hier kommen über 200 Nachrichten am Tag zusammen. »Wie kannst Du das alles lesen?«, werde ich berechtigterweise gefragt. Die Antwort ist einfach: »Mach ich nicht.« Bei so viel Input ist man darauf angewiesen zu filtern und genau da liegt meiner Meinung nach einer der größten Hunde begraben. Während meine Generation von allen Seiten medial beschallt aufwuchs und quasi gezwungen ist selektiv wahrzunehmen, können die älteren Semester zwar auch sortieren, aber auf einem ganz anderen Level. Mein RSS-Reader bietet die grandiose Möglichkeit mit einem Klick alle Artikel als gelesen zu markieren. Alle Artikel einer Quelle, alle Artikel einer (selbst angelegten) Kategorie oder sogar alle Artikel aller Quellen. Gerade die Feeds von Newsseiten spucken zahlreiche Nachrichten aus, die mich nicht interessieren. Oftmals drücke ich alles weg, überfliege nur oder durchsuche nach aktuellen Geschehnissen (Über Suchverhalten und -effizienz sowie die Wichtigkeit von Suchmaschinen im Netz könnte man auch mal einen Artikel schreiben — demnächst). Hier kommt ein Phänomen ins Spiel, das die HAZ kürzlich sehr gut zusammengefasst hat: Empfehlungen. Gerade bei Twitter wird viel belangloses Zeug verzapft, aber zum Beispiel über den Flugzeugabsturz am Schiphol oder das Attentat in Winnenden erreichten mich dort die ersten Nachrichten.

Aktuelles bekomme ich direkt aus dem Internet, da kann die Zeitung nicht mithalten. Sie muss einfach mehr liefern als platte Nachrichten, denn sonst ist sie nicht mehr als abgestandene Information.

Ich klicke nicht = ich bin schuld.

Mario Garcia stellte vor kurzem die Frage, ob Nachrichtenseiten denn überhaupt noch eine Topnavigation benötigen würden. Hinter der eher gestalterisch anmutenden Frage verbirgt sich ein ziemlich konzeptioneller Ansatz. Er unterteilt die Besucher von Nachrichtenseiten in zwei Kategorien und vergleicht sie mit seinem eigenen Einkaufsverhalten im Supermarkt: Entweder er weiß genau was er haben möchte, möchte das Gesuchte möglichst schnell erhalten und sich nicht lange aufhalten (Direktlink via Suchmaschine, RSS oder Twitter) oder er stöbert nur (Überschriften lesen, Bilder angucken und bei Interesse näher hinschauen). Beides ist zwar auch bei der handelsüblichen Zeitung möglich, aber ersteres ist klar eingeschränkt und zweiteres wahrscheinlich überschätzt, aber ein Ansatz auf den sich (vor allem gestalterisch) aufbauen lässt.

Dabei darf man etwas nicht verwechseln: Die Leute werden die Zeitung nicht kaufen, um sie ihr Eigen nennen zu können (zumindest die meisten nicht). Diesen Fehler hat schon die Musikindustrie in Bezug auf CDs begangen. Niemandem geht es um den Datenträger. Er ist nur ein austauschbarer Container und deshalb unwichtig. Auch Zeitungen müssen Gefühle verkaufen, der Leser muss sich mit ihr identifizieren können. Dabei geht es um Meinungen, Ansichten, Kritiken, aber auch um eine visuelle Sprache, die mich anspricht ohne dass ich auch nur ein Wort gelesen habe.

Für die Nachricht, die Information, ist Erreichbarkeit das A und O. Das hat auch Tim Renner erkannt. Sicherlich muss sich das Geschäftsmodell ändern, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Allerdings sind schon ziemlich viele Finanzierungsmethoden ausprobiert worden und bis jetzt gibt es eigentlich nur eine, die funktioniert: Anzeigen.

Mal im Ernst: Wie oft habt ihr schon bewusst auf Onlineanzeigen geklickt? Ich klicke da nicht. Kann die Klicks wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Das Produkt dann tatsächlich gekauft habe ich vielleicht zweimal. Auch hier gilt: Ich vertraue Empfehlungen viel eher. Außerdem recherchiere ich lieber selbst und ich hasse nervende Banner. Natürlich fahre ich auf gut gemachte Werbung ab — auch die gibt es im Netz, aber sehr, sehr selten. Deshalb hat Eric Clemons mit seiner Behauptung schon ganz recht. Es muss Alternativen geben, aber sie dürfen vor allem eines nicht: den Nutzer für dumm verkaufen. Der mündige Internetsurfer lässt sich nicht über den Tisch ziehen, dennoch ist er gern bereit für guten Service mit erkennbarem Mehrwert auch bares Geld zu bezahlen.

Deshalb denke ich, dass vor dem neuen Geschäftsmodell auch eine neue Denkweise in der Medienwelt Einzug halten muss. Das Zentrum ist nicht mehr die Nachricht, sondern der Konsument. Ein Leser, der vielleicht endlich genug hat von der medialen Hetze nach Amokläufen. Der irgendwann genug hat von schlechten und reißerischen Artikeln. Der gute Artikel in einer schicken Verpackung haben möchte.

Mit mgzn (Megazin?!) und niiu gibt es zum Beispiel zwei durchaus viel versprechende Projekte, die eben genau darauf ansetzen: Qualität und Konsumentennähe. Sie sind damit auch nicht die einzigen, die aktuelle Situation gleicht wahrscheinlich viel mehr einer natürlichen Selektion. Ich sollte doch mal wieder was abonnieren.

Zeitungen sterben und ich bin schuld.
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Christopher Reinbothe

Dipl. Kommunikationsdesigner
@phneutral
DE, NRW, Wuppertal

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Jedes Ende ist auch ein Anfang sagt man und es gibt nichts, das man ewig haben kann.