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Der Monsun

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Warm ist es. Sehr warm. Die Leute schwitzen. Nein, heiß würde ich es nicht nennen. Heiß ist immer relativ. Es ist ziemlich warm, für die meisten Leute schon zu warm, aber heiß, wirklich heiß ist was anderes. Froh ist, wer in einer Eisdiele unter einem der bunten Schirmchen hockt und ein Eis mit buntem Schirmchen vor sich stehen hat. Oder eine Limonade. Gekühlt, mit Eis, damit man bloß die Hitze nicht spürt.

»Monsun müsste man sein.«

»Monsun… Monsun, warum Monsun?«
»Als Monsun ist man plötzlich da, heftig und genauso plötzlich wieder weg. Das Leben sollte einem Monsun gleichen. Man fällt in die Trockenzeit, befreit die Gequälten von der sengenden Hitze, befreit vom Durst, spült das Alte hinweg, indem man fastvertrocknete Bächlein anschwellen lässt, sie zu einem einzigen, reißenden Strom vereint. Man wird Teil des Stroms, der einen selbst und Millionen und Abermillionen von gleichdenkenden, gleichgesinnten Regentropfen mit sich trägt, fruchtbaren Boden hinterlässt, auf den nun nur die Samen fallen müssen um zu keimen.«

Nicht viel wird gesprochen, wenn es so warm ist, jeder Atemzug scheint kostbar, jedes Gespräch lockt neugierige Zuhörer. Ein Mann mit schwarzem Hut mischt sich ein, vor ihm stehen ein Cappuchino und ein Wasserglas. Sein weißes Hemd, passend zum gleichfarbig-schütteren Haar, wird gesäumt von einer roten Fliege, eine andere verscheucht er mit einer knappen Handbewegung. Seine blaße Haut hängt in schlaffen Falten über dem schmalen Gesicht. Früher war es vielleicht scharf geschnitten, genauso scharf, wie sein Blick es wahrscheinlich mal war, doch diese Zeiten sind vorbei. Immerhin ist es frisch rasiert.

»Entschuldigen Sie, aber um ein Monsun zu sein braucht es auch das richtige Klima. Wenn es nicht heiß genug ist, lohnt es sich nicht ein Monsun zu sein.«
»Ach, finden Sie nicht, dass es heiß genug ist?«
»Um ehrlich zu sein, finde ich nicht, dass es auch nur ansatzweise heiß wäre, eher lau. Beinahe würde ich sagen, dass es mich friert. Es schüttelt mich. Früher, ja, früher, da war es richtig heiß. Da haben die Leute noch anders gedacht und waren nicht so verweichlicht, wie heute. Früher hätte es gebrodelt, aber heute ist es durchwachsen, man weiß nicht woran man ist.«
»Früher, früher… Ich glaube nicht, dass Sie jemals einen Monsun erlebt haben.«
»Das stimmt. In unseren Breiten sind Monsune wirklich selten geworden. Ich würde vieles geben einen zu sehen.«

Da meldet sich eine dicke, schwarze Frau zu Wort. Der Schweiß steht auf ihrer Stirn, schillert in der prallen Sonne. Sie sitzt nicht unter einem der bunten Schirmchen. Gesäumt von krausem, früher glänzend schwarzem, jetzt grauem Haar, schauen dunkle, intelligente Augen durch eine schwere Hornbrille. Ihr scheint es nichts auszumachen.

»Mein Sohn, der war ein Monsun. Ein echter Monsun. Doch genau, wie Sie es sagten: Er riß das Alte nieder, aber er war nicht lange unter uns und dennoch erinnere nicht nur ich mich noch heute an ihn, so ist das mit Monsunen.«
»Ich glaube, ich habe schon von Ihrem Sohn gehört…«, meint der Mann mit Hut.
»Mit Sicherheit haben Sie das.«
»…aber ich glaube nicht, dass sich die Leute noch wirklich an Ihren Sohn erinnern, er wird genauso vom Konsum benutzt, wie alle anderen auch.«

Er schlägt die Beine übereinander, die geputzten, schwarzen Lackschuhe glänzen genauso, wie die Stirn der Alten.

»Früher war Ihr Sohn etwas Neues. Frischer Wind in hängenden Segeln, aber als er ging haben Kapitäne das Ruder übernommen, die andere Ziele haben. Wir brauchen einen neuen Monsun, der den Kahn zum Kentern bringt. Ich wünschte, ich wäre ein Monsum gewesen, aber leider fiel ich ins falsche Klima. Gegen gierige Kapitäne müsste man etwas tun.«
»Ja, Monsun müsste man sein, ungebunden, erlösend, nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein.«

Für eine Weile herrscht Stille. Jeder sucht den Monsun in sich oder genießt den scheinheiligen Sonnenschein. Man bezahlt mit seinem Schweiß, tränkt T-Shirt, Taschentuch, Toupet. Doch so schön es auch ist, im Eiscafe, so teuer kann es sein und Erfrischung findet man auch im eigenen, heimischen Kühlschrank.

»Wollen wir uns auf den Weg machen?«
»Meinetwegen…«
»Zahlen.«

Es klimpert, Geld wechselt seinen vermeintlichen Besitzer und hat es wieder einmal geschafft das letzte Wort zu behalten. Wären nicht alle potentiellen Monsune käuflich, dann wäre es vielleicht mal wieder so richtig heiß, so bleibt es nur warm. Sehr warm. Und die Leute schwitzen zwar, aber finden sich damit ab und die Erfrischung in der Eisdiele. Nein, heiß würde ich es nicht nennen. Heiß ist immer relativ. Es ist wirklich ziemlich warm, allerdings nicht so heiß, dass irgendjemand etwas daran ändern wollte, denn heiß, wirklich heiß ist was anderes.

(Christopher Reinbothe, Kurzgeschichte, 2004)

Der Monsun
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Christopher Reinbothe

Dipl. Kommunikationsdesigner
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DE, NRW, Wuppertal

THE END

Jedes Ende ist auch ein Anfang sagt man und es gibt nichts, das man ewig haben kann.